Mein Morgen war grausam, hätten wir nicht ein Fach gehabt, in dem wir nächste Woche eine Arbeit schreiben, dann wäre ich daheim in meinem Bett geblieben. Gegen Mittag hatte ich allerdings mein typisches Hoch, zu dem hatte endlich das Mittel gegen die Erkältung gewirkt. Das hielt so vielleicht die Schulstunde über an und im Bus wurde ich dank meinem geliebten MP3 Players wieder ein wenig zurück geworfen, aber ich habe mich zusammen gerissen, weil ich heute eigentlich mit der Prüfungsvorbereitung anfangen wollte.
Ich komme gerade zu Tür rein, da steht meine Mutter fertig angezogen und meint "Lass die Jacke an, wir müssen los. Der Opa." Mir blieb mein Herz stehen. Ihr müsst wissen, dass seit etwa 5 Monaten bekannt ist, dass er Krebs hat und er war nun auch lange in Behandlung. Aber die letzten Ergebnisse waren gut und jeder von uns ging davon aus, dass er auf dem Weg der Besserung ist. Nun, was noch dazu kommt, er hatte eine sehr, sehr schwere Kindheit. Seine Mutter war Hilfsarbeiterin aus Polen während des zweiten Weltkriegs und sein Vater ein Deutscher. Da die beiden nicht verheiratet waren, wurde mein Opa, der "Bastard" nach Polen abgeschoben zu Verwandten, die ihn immer wieder haben spüren lassen, wie wenig er wert ist, weil er unehelich geboren ist. Das ganze ist heute schwer vorstellbar aber so war das nun damals und vorallem im erkkatholischen Polen. Über die Zeit hat er oft mit uns gesprochen. Er wurde geschlagen und misshandelt und auch als sein Vater, dem viel an ihm lag, da in Deutschland der Erstgeborene egal ob unehelich oder nicht, den Hof erbt, ihn zurück nach Deutschland holte, da war er etwa 10, wurde er von seiner eigenen Mutter nur getrietzt und misshandelt. Er bekam nur Reste zu essen und musste im Stall schlafen etc.Sie hat im einmal sogar ein Messer an den Kopf geworfen. Soviel dazu. Jedenfalls hat er das alles nie verarbeiten können und fand so seinen Frieden Jahre später im Alkohol. Er war bis heute lange Zeit trocken. Die Ergebnisse der Chemotherapie waren wunderbar. Es hätte alles ganz normal und gut werden können. Nein. Er hat sich betrunken. Irgendwo her hat er eine Flasche Schnaps bekommen und noch einen Restvorrat gefunden, man weiß es nicht. Er hat es also wieder getan und sich zugesoffen. Dann ist er gestürzt und hat sich eine riesige Platzwunde zugezogen. Deshalb stand meine Mutter im Flur und wartete auf mich.
Meine Tante hat angerufen. Als wir angekamen, lief mir bereits die jüngere meiner beiden Cousinen, tränenüberströmt entgegen. Die beiden sind Zwillinge. Die Ältere kam hinterher wirkte sehr gefasst und versuchte auch die kleine abzulenken. Ich trug also das Mädchen im Arm hinein und setzte mich mit den beiden vor den Fernseher, während meine Mutter und Tante bei meinem Opa auf den Rettungswagen warteten.
Die größere der Beiden redete viel über andere Dinge und wirkte sehr stark, aber diese Szene kam mir einfach so traurig bekannt vor. Es war wie bei mir damals, sie war stark für die anderen. Sie weinte nicht. Sie blieb stark, weil sie wusste sonst bricht alles zusammen. Auch als der Rettungswagen weg war und ihre Mutter sich setzte und zitterte, da kam sie und stellte sich hinter sie. Umarmte und tröstete ihre Mutter. So wie ich damals meine Mutter im Arm hatte. So wie ich damals für meinen Bruder stark war, der sich wie meine kleine Cousine heute oft die Seele aus dem Leib geweint hat. Sie weinte nicht. Aber ich merkte, dass auch ihr das sehr nahgeht. Vielleicht sogar näher als ihrer kleinen Schwester, die ihrem Unmut wenigstens Luft machte. Und auch als sich meine Tante wieder gefasst hatte und meine kleinere Cousine auf ihrem Schoß saß und einfach nur weinte, da machte die Große Späße und sprach mit mir über die Schule, versuchte verzweifelt von der Tatsache abzulenken und einfach stark zu sein. Ich war glücklich als meine andere Tante mit ihren Söhnen kam und die vier sich dann zum Spielen verzogen. Besonders als meine Tante sagte, dass es die kleinere von Beiden so mitgenommen hatte, lied ich mit den Großen mit. Ich wusste genau, dass die Große noch viel mehr lied. Nur eben stumm. Wie ich damals. Es kam mir alles so verdammt bekannt vor, dass es mir fast Angst machte. Ich möchte nicht, dass sie endet wie ich. Mit der Zeit verlernt man es Gefühle zu zeigen und Trauer wird mit Schwäche gleichgesetzt, die nicht stattfinden darf in den eigenen Augen. Damit tut man sich keinen Gefallen. Jede Nacht im eigenen Bett allein zu weinen, weil man unfähig ist anderen zu zeigen, was man eigentlich fühlt. Es zereißt einen irgendwann... Ich hoffe ihr bleibt dieses Schicksal erspart. Und ich hoffe ihre Mutter erkennt, dass sie eigentlich schlimmer leidet, als das Kind, das seinem Kummer Ausdruck verleiht und weint.
Meine Mutter hat das nicht erkannt, dafür bin ich ihr nicht böse. Aber ich wünsche mir oft mir hätte damals jemand gesagt es ist in Ordnung zu weinen und traurig zu sein...
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen